Schulleitung - eine eigene Profession?!


Dr. Pierre Tulowitzki ist Juniorprofessor an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg (PH Ludwigsburg). Dort leitet er die Abteilung für internationales Bildungsmanagement. Darüber hinaus ist er der Leiter des internationalen Studiengangs International Education Management (INEMA), der von der PH Ludwigsburg in Kooperation mit der Helwan University in Ägypten angeboten wird.
Pierre Tulowitzki forscht auf nationaler sowie internationaler Ebene hauptsächlich in den Bereichen Bildungsmanagement und Schulentwicklung sowie zu Netzwerken in Bildungskontexten. Pierre Tulowitzki ist Co-Herausgeber des Journals für Schulentwicklung (JSE) sowie Mitglied im Executive Board des International Congress of School Efffectiveness and Improvement (ICSEI). Darüber hinaus leitet er das Netzwerk zu Bildungsmanagement der Europäischen Assoziation für Bildungsforschung (European Educational Research Association).
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Schulleitung – Eine eigene Profession?!
Prof. Dr. Pierre Tulowitzki
Fachhochschule Nordschweiz - Pädagogische Hochschule
Themenabend vor der IBS-Mitgliederversammlung am 18.02.2020
Eine sehr persönliche Sicht auf den Vortrag
von Michael Jurczok, Ehrenvorsitzender IBS, ASD
Gespannt war ich darauf, was heutzutage ein junger Professor zum Beruf „Schulleiter“ zu sagen hat. Hatte ich doch selbst, zusammen mit Heinz Winkler (der mich 1998 im Vorsitz des IBS ablöste) in einer Arbeitsgruppe der (damals noch) „Arbeitsgemeinschaft der Schulleiterverbände Deutschlands“ (ASD) an der Definition eines Berufsbildes „Schulleiter“ mitgewirkt, der Öffentlichkeit vorgestellt 1994 in Bonn unter dem Titel „Schulleitung in Deutschland - Profil eines Berufes“. Fortschreibungen mit dem Untertitel „Ein Berufsbild in (Weiter-) Entwicklung“ erfolgten 1999 und 2005.
Doch - noch einen Schritt zurück. Am Anfang der 80er Jahre entstand durch persönliche Kontakte der Vorsitzenden der bereits bestehenden Schulleiterverbände in Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Bayern ein loser Zusammenschluss. 1983 konstituierte sich die ASD. Andere, auch neu gegründete Schulart-übergreifende Schulleiterverbände der Bundesländer schlossen sich an, 1985 war auch der IBS (1983 gegründet) dabei.
Die Arbeitsbedingungen der Schulleiter standen am Anfang im Vordergrund. Ein Ländervergleich der Anrechnungsstunden für Leitungsaufgaben stellte sich - trotz vereinheitlichter Schularten und der durch das Bundesbesoldungsgesetz an definierte Schulgrößen gekoppelten Besoldungseinstufungen der Schulleiter- als schwieriges und zeitraubendes Unterfangen dar. Bald jedoch trat die eigene berufliche Identität in den Vordergrund. Man fragte sich: Wer sind wir eigentlich als Schulleiter? Was wollen wir sein? Wie definieren wir selbst unsere Rolle?
Auf der ASD-Frühjahrstagung 1989 in Berlin - den Vorsitz in der ASD hatte in diesem Jahr der IBS- Vorsitzende inne - verabschiedete die Versammlung die „Berliner Erklärung zum Berufsbild Schulleiter“. Sie stützte sich auf eine Vorlage von Siegfried Frick, Stellv. Vorsitzender des Bayerischen Schulleiterverbandes. Die „Berliner Erklärung“ stellte fest, der Schulleiter trage „die Gesamtverantwortung für seine Schule und hat dabei einen vorrangig pädagogischen Führungsauftrag zu erfüllen“. Und 1999, bei der Fortschreibung des Berufsbildes, hieß es: „Schulleiter sind nicht Lehrkräfte mit einem erweiterten Aufgabenkreis. Schulleiter üben einen neuen, eigenständigen Beruf aus.“ Damit wandte sich der ASD eindeutig gegen eine auf Management und Verwaltung reduzierte Aufgabenstellung, wie sie beispielsweise hinter dem Berliner Schulverfassungsgesetz von 1972/74 stand, welches den Schulleiter als „primus inter pares“ sah.
Prof. Heinz Rosenbusch, Bamberg, war ein Vorreiter einer neuen Sicht auf Schulleitung. Seit 1988 war alle zwei Jahre das von ihm initiierte „Bamberger Schulleitungssymposium“ ein Zentrum von Fortbildung und Kommunikation. Prof. Hans-Günter Rolff, Dortmund, sah zwar die „Steuergruppe“ als den Hauptträger der Schulentwicklung, den Schulleiter aber als deren Motor. Überall legten pädagogische Wissenschaftler den Focus auf den Schulleiter. Die Wissenschaft, auch die neue Zeitschrift des Luchterhand-Verlags „Pädagogische Führung“, stellten eine wesentliche Unterstützung der ASD auf Bundesebene und der Schulleiterverbände auf Landesebene dar, bei den politischen Entscheidungsträgern für eine neue Sichtweise auf die Schulleitung zu werben.
Wenn sich auch die Vertreter der Schulleiterverbände bewusst waren, dass die volle Gültigkeit des Begriffes „Beruf“ für den Schulleiter fraglich war, erfüllte dieser jedoch seine Mission als Schlagwort, um im politischen Raum die Absichten zu verdeutlichen. Es gelang weitgehend, in der Politik den Weg zu neuen gesetzlichen Regelungen zu befördern. Gelegentlich geäußerte Zweifel an der Berechtigung des Begriffes hatten kein Gewicht.
Nun also machte jemand ein Fragezeichen. Auf den ersten Blick eine Provokation für eine Versammlung von Schulleitern. Doch stellte Prof. Tulowitzki eingangs dar, dass die Forschung wisse, welche zentrale Rolle der Schulleiter für die Schulqualität spiele und dass insbesondere Innovationen von ihm abhängig seien. Die Aufgaben des Schulleiters hätten sich vor allem im Laufe der Diskussion um die „Autonome Schule“ gewandelt. Das Ausmaß auf administrativer Ebene habe sich jedoch nicht vermindert. Typisch für die Arbeit des Schulleiters seien die fragmentierten Abläufe. Dass Schulleiter auch Lehrende sind, sei eine Besonderheit in Deutschland.
Prof. Rolff habe schon 2016 die Frage nach Beruf und Profession als „abgeklärt“ bezeichnet. Aber, was bedeutet eigentlich „Profession“? Dazu stellte der Referent fünf theoretische Ansätze vor, von denen mir der erste umfassend und am aussagekräftigsten zu sein schien.
Attribute-Modell (Hesse, 1968)
1. Wissenschaftlich fundiertes Sonderwissen
2. Lange akademische Ausbildung inklusive Zertifizierung
3. Exklusives Handlungskompetenzmonopol
4. Berufsethos
5. Tätigkeitsbereich besteht aus gemeinnützigen Funktionen, Aufgaben von grundlegender Bedeutung
6. Autonomie bei der Berufsausübung
7. Selbstkontrolle durch Berufsverbände
Weitere Ansätze heben hervor:
1. „Professionalität“ billigt man Berufen zu, die essentiell für die Gesellschaft sind, z.B. Ärzten, Juristen etc.
2. „Professionalität“ kennzeichnet Berufe, die sich mit komplexen Problemlagen ihrer Klienten befassen, wobei sich diese auf zentrale Werte beziehen wie Gesundheit, psychische Integrität, Gerechtigkeit, Bildung
3. Zu „Professionalität“ gehören klar abgegrenzte Kompetenzbereiche, Prozesse des Kompetenzaufbaus und der Kompetenzentwicklung
Nun unterzog Prof. Tulowitzki die Realität des Schulleiterberufs einer kritischen Prüfung. Er sah als ein Qualifizierungsdefizit, dass die Qualifizierung zum Schulleiter bundesweit uneinheitlich und nicht überall verpflichtend, darüber hinaus die Qualifikation der dabei tätigen Dozenten unklar sei. Schulleiter seien oft Autodidakten, die wissenschaftliche Basis des Berufsbildes oft lückenhaft, und relevante Forschung finde nicht immer den Weg in die Praxis. Ein Autonomiedefizit zeige sich in Einschränkungen der Kompetenz des Schulleiters in Beug auf Personal, Budget und pädagogische Führung.
Sein Fazit: Ist Schulleitung eine Profession?
1. Ein klares Jein!
2. Elemente einer Profession erkennbar, gleichzeitig fehlen essenzielle Komponenten
3. Ohne professionstheoretische Fundierung droht Willkürlichkeit und Überforderung
In der Diskussion wurden den genannten Defiziten die Fortbildungsangebote des IBS (seit über 30 Jahren) und ebenso die seitens der Hochschulen und Fortbildungsinstitute gegenübergestellt. Die genannten Defizite in der Schulautonomie wurden im Wesentlichen bestätigt.
Mich hatte überrascht, dass das von den Schulleiterverbänden vertretene Bild von Schulleitung als Beruf überhaupt einer ernsthaften und fairen Untersuchung der Wissenschaft für würdig befunden wurde. Hatten wir doch einen derart hohen Anspruch, wie ihn der Referent aus professionstheoretischer Sicht erhob, gar nicht im Sinn. „Beruf Schulleiter“ war wichtig als Abgrenzung gegenüber der Lehrtätigkeit und betrachteten wir als Vehikel, grundlegende Veränderungen unserer Stellung und damit für die schulische Bildung zu erreichen. Befriedigt dürfen wir feststellen, dass das bisher Erreichte von der Wissenschaft anerkannt wird.
 
 

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